Authentische Texte im Alpha-Unterricht

In meinem Alpha-Integrationskurs (6.Modul) setzen wir das Lehrwerk "Erste Schritte - Vorkurs" ein und haben im 6. Kapitel gerade die Strukturen "ich mache gern" geübt. "Ich fahre gern Fahrrad." oder "Ich koche nicht gerne." usw. Dazu ist mir dann in der letzten Woche ein wunderbarer Text in die Hände gefallen, in dem gerade diese Struktur häufig vorkommt und der eine gute, authentische Ergänzung zu unserem Lehrwerkalltag darstellt.

In dem Buch "Ich bin keine Schreibmaschine" werden Texte von deutsch sprechenden funktionalen An-Analphabeten zusammen mit Fotografien der Betroffenen abgedruckt. Sie wurden vom AOB herausgegeben. Ich habe meinen Kursteilnehmern also erzählt, dass es auch viele deutsche Muttersprachler gibt, die Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben haben (eine Info, die man ja sowieso und immerzu in der Öffentlichkeit verbreiten sollte, da sie so wenig im Bewusstsein der Menschen ist).

Den Text, den ich gewählt habe, ist der von Thomas (S.30/31). Er ist recht klein gedruckt, aber ich habe ihn mit Absicht nicht vergrößert kopiert, um eben auch das Lesen der kleineren Schriftart zu beüben. Die TN hatten damit kaum Probleme. Gut zu wissen!
Der Text ist von einem Lerner in einer einfachen Sprache verfasst, und besteht überwiegend aus Hauptsätzen und sich wiederholenden Strukturen. Die Struktur "Ich ... gerne..." kommt 8-mal vor.

Ich habe den Text zunächst in Stillarbeit lesen lassen. Da kann sich jeder in seinem Tempo ohne Druck mit dem Text auseinandersetzen. Ich habe die Teilnehmer gebeten, Wörter, deren Bedeutung sie nicht kennen, an die Tafel zu schreiben. Es gab schon recht neuen und unbekannten Wortschatz und lange Wörter, wie "Ventilator", "Schlachtensee" (für Nicht-Berliner: das ist der Name eines Sees bei uns), "Wohngemeinschaft", usw. Danach habe ich ein Arbeitsblatt ausgeteilt, auf dem nur die Bilder abgedruckt waren: Cliparts von einem Ventilator und einem See, usw. "Wohngemeinschaft" schien etwas schwierig visuell darstellbar, aber ich habe ein Bild von einer Wohnung und ein Bild von mehreren Menschen (deutlich keine Familie) zusammengetan. Die Teilnehmer mussten nun Wörter und Bilder zuordnen und greifen dabei auf Strategien zurück: "Ventilator" heißt z.B. in Portugisisch ähnlich, der See passt zu dem Wort "Schlachtensee", die abgebildete Wohnung macht zusammen mit dem Wort "Wohngemeinschaft" Sinn. Zusammen klären wir abschließend die Wörter.

Danach gab es ein Arbeitsblatt mit Fragen zum Text. Jetzt, wo alle Wörter klar sind, gehen die Teilnehmer noch einmal in Einzel- oder Partnerarbeit den Text durch und beantworten die Fragen. Wir kontrollieren die Fragen zusammen und lesen den Text Satz für Satz - wobei ich, wenn das notwendig sein sollte, die Sätze paraphrasiere und erkläre.

Dann legen alleTeilnehmer die Texte weg und sie versuchen, sich gemeinsam an so viele Details wie möglich zu erinnern. Diese Details werden an der Tafel als Wortigel festgehalten. Wenn niemandem mehr etwas einfällt, dürfen wir zurück in den Text schauen: Haben wir etwas vergessen? Was?
Ich bitte die Teilnehmer dann, alle Verben im Text anzustreichen. Das klappte interessanterweise jetzt auch bei denen gut, die mit grammatischen Phänomenen sonst oft Schwierigkeiten haben. Sicherlich lag das daran, dass die meisten Sätze einfach gehalten und als Hauptsätze mit Verbzweitstellung geschrieben wurden. Wir markieren dann auch das Wort "gerne" und zeigen noch einmal, dass es in den allermeisten Fällen nach dem Verb steht.

Man kann die Unterrichtseinheit dann mit spannenden Diskussionen beenden: Wo geht es den Teilnehmern ähnlich wie Thomas, wo geht es ihnen anders? Vielleicht schreiben sie auch 4-5 Sätze über sich - was sie gerne machen, was ihre Familie macht, welches Verhältnis sie zu ihnen haben.

Fazit: Texte von Lernern sind eine wahre Fundgrube zur Unterrichtsgestaltung. Sie sind authentisch und einfach genug, damit Anfängerkurse sie verstehen können. Einen richtigen langen Text in kleiner Schrift lesen und verstehen zu können, war für meine Teilnehmer ein großer Motivationsschub. Es gibt unzählige Möglichkeiten, diese Texte aufzubereiten und kleine Aufgaben zu gestalten.

Texte von Lernern finden Kursleiter und andere Interessierte auch in der ABC-Zeitung der Oldenburger Selbsthilfegruppe oder die Lerner-Zeitung des Vereins Lesen und Schreiben e.V.