Grundbildungszentren in Deutschland

Screenshot: rgz.nds.de
Am 2.Mai wurde das Berliner Grundbildungszentrum eröffnet. Mich freut das nicht nur für die Grundbildungsarbeit in Berlin, sondern auch ganz persönlich: als Mitarbeiterin dort darf ich den Aufbau des Zentrums mitgestalten.
Grund genug, sich andere deutschlandweite Grundbildungszentren anzuschauen: Wo gibt es welche und was machen die da?

Hamburg hat schon lange ein "Zentrum Grundbildung und Drittmittelprojekte" an seiner Volkshochschule. Ein spannendes Projekt sind zum Beispiel die Selbstlernzentren. An zwei Standorten, eingebunden in Quartierstruktur, gibt es Beratung und Angebote für lernungewohnte Menschen. Hier können sie in Lerncafés lernen oder sich beraten lassen, welcher Kurs am besten zu ihnen passt. In Zusammenarbeit mit Partnern werden z.B. niedrigschwellige Computer-, Gesundheits- oder Sprachkurse angeboten.

In Niedersachsen gibt es acht Regionale Grundbildungszentren (RGZ) an acht verschiedenen Standorten mit verschiedenen Arbeitsschwerpunkten. Gemeinsam haben sie, dass sie anderen Bildungsträgern und Volkshochschulen beratend zur Seite stehen. Zusätzlich erproben sie Konzepte und Materialien.
Die acht Standorte sind:

Braunschweig: Ähnlich wie die Selbstlernzentren in Hamburg arbeiten auch die Braunschweiger besonders an dezentralen Lernangeboten (mobilen Laptop-Kursen) in einer engen Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen, wie Nachbarschaftstreffs, Stadtteilläden,... Außerdem wurde ein Bündnis "Initiativkreis Grundbildung" aus verschiedenen Einrichtungen gegründet, die vor allem Firmen und Unternehmen für das Thema aufschließen wollen.

Göttingen: Auch in Göttingen wird die Netzwerkarbeit vorangetrieben, mit dem angestrebten "Bündnis für Alphabetisierung und Grundbildung Niedersachsen".

Hannover: Hier setzt man sich für die arbeitsplatzbezogene Grundbildung ein. Zwei städtische Betriebe wurden gewonnen, um deren Bedarfe zu ermitteln. Daraufhin wurden Kursangebote gestartet und Personalverantwortliche geschult.

Lüneburg: Umfangreiche Aktivitäten bündeln sich in Lüneburg. An (teilweise an verschiedenen Standorten eingesetzten) Laptops wird in Comcafés gelernt. Mit den verschiedensten Einrichtungen werden Vernetzung Kooperationen und Aufklärungsarbeit betrieben. Die neu gegründete Selbsthilfegruppe Wortblind wird unterstützt.

Oldenburg: das RGZ dort arbeitet besonders im Bereich der Family Literacy, an der Lernsoftware Beluga und unterstützt die Selbsthilfestrukturen.

Osnabrück: hat eine "Kontaktstelle Alphabetisierung" eingerichtet, an der Vernetzung, Aufklärung und Beratug Betroffener gemeinsam betrieben wird.

Stade: Da das RGZ in Stade von einem evangelischen Träger betrieben wird, werden vor allem diese Kontakte (Kirchengemeinden, kirchliche Einrichtungen, Diakonie) in die Netzwerkarbeit einbezogen und sensibilisiert. Stade denkt über die Einrichtung von dezentralen Treffpunkten nach, an denen Menschen mit und ohne Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben miteinander ins Gespräch kommen.

Weserbergland: Die Aktivitäten wenden sich besonders an die Jugendanstalt Hameln, Verschiedenste Einrichtungen sollen über einen Runden Tisch ins Gespräch kommen. Dazu sollen lokales Radio und Zeitung für die Öffentlichkeitsarbeit gewonnen werden, wobei Leichte Sprache eine wichtige Rolle spielen wird.

Interessant ist die Evaluation der Arbeit der Niedersachsener Grundbildungszentren durch Prof.Dr.Anke Grotlüschen - hier als pdf einsehbar. 


Für Brandenburg wurde von Frau Dr. Eva-Maria Bosch auf dem Fachtag des LISUM die Ausschreibung von acht Grundbildungszentren angekündigt.
In anderen Bundesländern, wie bspw. Rheinland-Pfalz oder Sachsen gibt es bereits etablierte starke Bündnisse, die zwar nicht den Namen 'Grundbildungszentrum' tragen, aber dennoch deren Funktion ausfüllen.

Fachtag Alphabetisierung und Grundbildung in Brandenburg

Immer einmal im Jahr wird im Brandenburger Landesinstitut für Schule und Medien LISUM) ein Fachtag zum Thema Alphabetisierung und Grundbildung durchgeführt. (Hier kann man meinen Bericht für 2012 noch einmal nachlesen.) Diesmal lag einer der Schwerpunkte der Veranstaltung auf dem kleineren Bruder der Alphabetisierung: dem Lernen von Mathematik im Erwachsenenalter.

Dr.Anja Perry stellte die Ergebnisse der PIAAC-Studie im Bereich der mathematischen Kenntnisse vor.
Thomas Waldstein sprach über seine Arbeit am Modul "Mathe auf Schritt und Tritt". Hier geht es um das "Vermitteln von grundlegenden Rechenvorgängen: Grundrechenarten, das Verständnis für Brüche, Verständnis und Umgang mit Größen und Rechnen von Zwei- und Dreisatz".
Prof. Dr. Wolfram Meyerhöfer berichtete von der Erstellung eines Mathe-Lehrplans für den dvv. Einer seiner wissenschaftlichen Schwerpunkte sind "mathematische Analphabeten". Für seine Forschung begibt er sich in die Praktikerrolle und unterrichtet einen Mathe-Volkshochschulkurs. Schön, wenn Wissenschaft und Praxis so zusammenkommen! Interessante und nachdenkliche Interviews mit ihm kann man hier, hier und hier nachlesen.
Er teilt Mathe-Kenntnisse in 3 Stufen auf:
  • Basis 1: Erwachsene mit besonderen Schwierigkeiten im Rechnen - auf dieser Stufe sind Menschen, die Rechnungen im Zahlenraum unter 20 nur zählend ausführen. Interessant ist, dass diese Lerner aber auch viele andere komplexere Rechnungen durch Kompensationsstrategien durchführen können.
  • Basis 2: Lerner schaffen auch größere Zahlenräume und entwickeln ein Verständnis für Größen so, dass sie den Taschenrechner nutzen können.
  • Basis 3: Lerner wagen sich in den Bereich des "Bürgerlichen Rechnens" vor. Darunter zählt der Stoff der Sekundarstufe I, den sich die Lerner selber wünschen. Hier geht es nicht mehr um Kenntnisse, die sie im Alltag brauchen, sondern um ökonomische und gesellschaftliche Teilhabe.
Nach der Mittagspause konnten sich die Tagungsteilnehmer für Workshops entscheiden. Ich ging zu Dr. Renate Gruhle von der VHS Oder-Spree, die Tipps und Hinweise zum Thema "Erstberatung gestalten" gab. Um einen ersten Anhaltspunkt zu haben, in welchen Kurs der oder die Betroffene passen würde, wurde der Anamnesebogen von Thomas Waldstein oder der Orientierungsrahmen Alphabetisierung und Grundbildung vom dvv empfohlen. Die lea.Diagnostik wurde von den Praktikern im Workshop als zu aufwendig für die Erstberatung eingeschätzt.

Die Tagung endete mit einer Diskussionsrunde zum Thema "Gemeinsam für Alphabetisierung und Grundbildung - Netzwerke, Alpha-Bündnisse, Runde Tische" (siehe Foto oben). Verschiedene Vertreter von Berliner und Brandenburger Netzwerken erzählten von ihren Erfahrungen mit verschiedensten Zusammenschlüssen zum Thema. Unterschiedliche Netzwerke werden aus unterschiedlichen Gründen ins Leben gerufen: um neue Erfahrungen, Forschungsergebnisse, ... zu teilen und zu nutzen, um zu sensibilisieren, um Austausch und Kooperationen anzuregen, um Praktiker an politischen Prozessen zu beteiligen, um eine Plattform für eine fachliche Auseinandersetzung zu schaffen. Wichtig ist es, die Strukturen zu schaffen, die gut zu den speziellen Situationen und Gegebenheiten passen.